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Im Netz gefangen

last modified 2005-10-31 11:33

Bemerkungen zu einem Film von Lutz Dammbeck

Ein Film über die kulturelle Disposition der letzten 50 Jahre, die von der Entwicklung und Einführung der Computer und damit von USA Think Tanks bestimmt war, aber auch von dem Traum der Weite, der Grenzenlosigkeit von Fortschritt und Lebensmöglichkeiten in bislang ungekanntem Ausmaß - ein Film über das gegenseitige Sichhochschaukeln von Widersprüchen, die Explosionskraft besitzen, von Widersprüchen, die nur selten zur Sprache, noch seltener ins Bild kommen.

Wissenschafts – und Mentalitätswandel greifen auf eine oft schwer entwirrbare Weise ineinander. Gibt es den direkten Weg zur One World, wo alles glasklar geordnet erscheint?

Gödels Satz von der Unentscheidbarkeit steht am Beginn des Films, am Ende die Diagnose von Gödels Lebensende – Paranoia. Dazwischen der Aufbruch ins CHANGE NOW in vielen Varianten. Kein Ort hält fest, die Utopie der Mobilität wird zur Szene, wir begleiten Dammbeck im Flugzeug, in Straßenschluchten New Yorks, im Tunnel, in der Weite der Westküstenlandschaft, im Blick auf die Wälder Montanas. Er will dieser Verheißung der Grenzenlosigkeit, die mit der Internetkultur verbunden ist und die er aus der Kunstavantgarde der 60-er Jahre kennt, auf die Spur kommen. Immer wieder wird unser Blick auf den Skizzenblock gelenkt, in dem er sich die Verbindungen in dem Wegenetz zurechtzulegen versucht.

Sein Weg beginnt in New York - bei John Brockman, der zur Multimediaszene von Anfang an gehörte und dann eine erfolgreiche Cyberelite aufbaut. Mit ihm führt Dammbeck das erste Interview.
Brockman erinnert an den Enthusiasmus der Anfangsjahre, ein Medien - Festival 1963 mit Rauschenberg, John Cage, die industrielle Vernetzung aller Kreativen. Es ist davon die Rede, dass die Menschen der Technologie angepasst werden müssen. "Your brain is a computer". Auf seine Firma wird ein Anschlag verübt, der Informatiker David Gelernter wird schwer verletzt.
Mit ihm wird das letzte Interview des Films geführt. David Gelernter spricht über seine Faszination von einem an Hobbes erinnerndes System von Millionen Menschen, das in Software abgebildet und überschaubar gemacht werden kann. Aber er ist ein Opfer, er ist Medienkritiker geworden, beklagt, dass die "moralische Komponente" fehlt.

Über den Attentäter, den ehemaligen Mathematikprofessor Ted Kaczynski, der den Fahndungsnamen "Unabomber" erhielt, will er nicht sprechen.
Er sieht in ihm kein counterculture phenomenon. Eine Verbindung zwischen der Vision der ONE WORLD und seiner Medienkritik zieht er nicht.
Vehementer als Gelernter verweigern die anderen Gesprächspartner eine Auseinandersetzung über die Motive des Attentäters. Unverkennbar, dass diese Lücke die Recherche bestimmt.

Dammbecks Weg führt über Stationen der Begeisterung und der Ernüchterung.
Im früheren Fischerdorf Sausalito, das durch Hippiehausbootsiedlungen bekannt wurde, trifft er Stewart Brand, den Erfinder des Begriffs Personal Computer und Herausgeber des WHOLE EARTH CATALOGUE, in dem für alternative Lebensweise geworben wurde. In Verbindung mit einer vom Militär angeregten Forschung ging es damals auf den Trip "von Acidtest zu Acidtest".

Die anfänglich sprudelnden Ideen von einem neuen Leben auf dem Lande (goat husbanding ist ein Reizslogan dieser Jahre) verflüchtigen sich rasch. Man bleibt on the road. Die Protestkultur bis hin zu Attac entsteht. Aber der Rahmen des kulturellen Wandels wird immer deutlicher - der Krieg, Vater aller Dinge. Norbert Wieners Berechnungen von Jagdbomberbewegungen im Zweiten Weltkrieg stehen am Anfang der Kybernetik.
Eine Art geschwätziger Gartenzwerg schwärmt vom sagenhaften Sicherheitsgefühl, das "SAGE, the largest computer ever made", vermittelt. Robert Taylor, als Pentagonprojektmanager einer der Erfinder des Arpanet, des Vorläufers des Internet, tritt auf: Man wollte nicht noch einmal überrascht werden wie dies beim Sputnik (1957) der Fall war.

Er glaubt an den Fortschritt des Wissens - Nichtwissen macht Angst. Dammbeck trifft Heinz von Foerster, der an der Verschmelzung biologischer und technischer Systeme arbeitete. Ihm geht es um das Systemische gegenüber dem Trennenden in der alten Wissenschaft. Noch im Rollstuhl schwärmt er von der ins Grenzlose gleitenden Reihe logischer Ableitungen in der Theorie. Grenzen in der Realität erkennt er nicht – "Realität, wo haben Sie die?"

 

Die Retrospektive stößt auf Gruppierungen, die wie Verschwörungen wirken. In den Sechziger und Siebziger Jahren überstürzen sich informelle Treffen und Feste von Kulturmenschen mit Computerforschern und Strategen. Es geht um eine neue Cyberspiritualität und Open society. Die Horkheimer-Adorno – Studie über den "autoritären Charakter" im Faschismus gibt Impulse für eine Forschung zum Eingriff in die Psyche, um die alten für totalitäres Verhalten verantwortlichen Werte herauszuoperieren und durch eine sich selbst regulierende Umerziehung zu ersetzen.

Es geht um "America` s Mission" wie ein Titel des hochdekorierten Militärs und Harvardpsychologen Henry A. Murray formuliert. Dazu gehören Testserien mit LSD, an denen Timothy Leary beteiligt ist. Andere Tests erkunden das Verhalten von ausgewählten eliteverdächtigen Studenten in Extremsituationen.

Einer von ihnen ist Ted Kaczynski, sein Deckname ist "Lawful". Einschlägige Unterlagen sind verschwunden. Stellen aus Briefen von Kaczynski aus der Haftanstalt unterbrechen die Sequenz der Orte und Interviews. In nüchternem Ton beantwortet der Autor Fragen, wieso er sich in die Waldhütte Montanas – sie könnte aus dem Katalog der Alternativen stammen – zurückzog und von dort aus zwar nicht Robin Wood, aber Attentäter wurde.
Seit Mitte der Neunziger ist sein Manifest gegen die Industriegesellschaft im Umlauf. Die Gefährlichkeit der Utopien für das Weiterbestehen der Menschheit werden beschworen. Rede ist auch von den Löchern in den Theorien und der Unberechenbarkeit im Verhalten komplexer Systeme. Die Mathematiker sind gar keine Wissenschaftler, sondern Spieler, heißt es. Diese Briefe wirken als Versuch einer Sprachfindung an den Grenzen des Wissens, an denen sich Kaczynski genauso sieht wie Gödel.

Gegenüber der strukturellen Gewalt der technologischen Gesellschaft besteht für ihn ein Recht auf Selbstverteidigung. Daß es um Sprachfindung in unsicherem Terrain geht – mehr als einmal zeigt es sich in der immer wieder betonten Feststellung, daß er noch keine authentische Fassung des Manifesto habe. Rührend sein Wunsch, ein deutsch-englisches Wörterbuch zu erhalten.

Auf dem Weg in die neue Welt sind wir auf gefährliche Fragen gestoßen.
Es sind die alten Fragen nach dem Verhältnis von Recht und Gewalt, in der Grauzone von Wissen und Wahn, Wissenschaft und Kunst. Bei den Vertretern der Open Society – eine Mauer des Schweigens. Dagegen steht ein gescheiterter Einzelner, der sich von allen Nachbarn und Nahestehenden absonderte, aber vor allem zur Sprache kommen will. Er landet in einem Hochsicherheitstrakt.

Zwischen den Fronten für Momente: ein Opfer des Geschehens spricht von Moral, ihrem Fehlen. Meint er die alten Werte, die abgeschafft werden sollten?
Oder neue – gibt es die?

Nach einer Flucht von Orten und Worten ein letzter Blick: der Innenhof des Gefängnisses, in dem die Insassen ihre tägliche Runde drehen.

In einem öden Kreislauf nirgendwohin landet die Utopie.



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