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Kapitel 6

last modified 2005-10-31 11:31
Einlagerung der Hütte

Es scheint, als hätten sich heute die Träme der "cybernetics group" und anderer von der Heilung einer "kranken" Welt und der Erschaffung einer neuen und künstlichen Natur von Menschenhand mit Hilfe von Computern, künstlicher Intelligenz, Systemtheorie, Psychologie und Verhaltensforschung endlich und letzlich in einem sich weltweit ausdehnenden Handelsnetz konkretisiert.Dieses Netz ist die Voraussetzung für einen einheitlichen, formalisierten und globalisierten Einheitsmarkt. Für dessen unaufhörliche Ausdehnung stellen allerdings die Existenz von Staaten, Nationen und Grenzen Hindernisse dar.
Folgerichtig müssen diese nicht nur beseitigt werden, sondern auch die zu transportierenden Informationen, Waren und letzlich auch entwurzelte Menschen so geformt werden, dass sie problemlos durch dieses Netz fließen können.

Die Technologie liefert die Modelle der Regeln und die Normen, die dieser "flow" benötigt. Alles, was ihn behindert, wird als Irregularität und Systemstörung behandelt. "Formatieren" und "Ruhigstellen" sind deshalb Aufgaben, für die von der Psychologie, der Psychatrie, der Verhaltensforschung und zunehmend von der Entertainment-und Medienindustrie effektive und praktikable Lösungen erwartet werden.

Der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin prognostiziert für die nähere Zukunft Massen von nutzlosen, weil überflüssigen Menschen, die ruhig gestellt und beschäftigt werden müssen.27  Diese "consumer" müssen durch elektronische Medien-Klimbim verschiedenster Art wie Games, Game Shows oder Handyfernsehen eine elektronische Fußfessel verpasst bekommen, die wie eine Injektion von Beruhigungsmitteln wirkt und zugleich die Menschen immer enger an die Maschinen bindet. Dennoch aufkommende Störungen werden als Rauschunterdrückung behandelt - und weggefiltert. So ist neben dem "Container" und dem "packet-switching" auch der "Filter" Voraussetzung und Emblem zugleich für eine Welt als globales Handelssystem, dessen Ausweitung militärisch und medial unablässig und zuverlässig vor Störungen gesichert wird.

Der Apokalyptiker Ted Kaczynski mit seinem Hass auf das "technologische System" und seiner bewußten Verweigerung des "american way of life" ist eine dieser Störungen. Indem er (folgt man dem FBI und den Staatsanwälten) versuchte, mit einem Manifest und Bomben schwarze Löcher in die Glasfaser-und Interfacekultur zu sprengen, ließ er nicht nur jede kapitalistische Regularität hinter sich, sondern wurde auch der "edle Wilde" aus dem Arsenal linker Passionsspiele - wild und frei.28  Allerdings war sein Versuch, "unsichtbare" oder "verborgene" Bereiche (in entlegenen Wäldern) zu schaffen, die dem Zugriff der Informations- und Kontrollgesellschaft entzogen sind, naiv. Denn in diesem "System" gibt es kein "draußen" mehr. Vom FBI und den meisten amerikanischen Medien wurde zudem sein Versuch einer "Systemstörung" umgehend zum reinen Kriminalfall ohne jede politische Bedeutung erklärt und Kaczynski als paranoider "sickie" stigmatisiert. Das führte bald zum Abflauen der anfänglichen Faszination und Unterstützung durch Teile der linksliberalen Intelligentsja und Cyberelite für die im Unabomber-Manifesto vorgetragene Kritik an einer technologischen Gesellschaft und der mit ihr verbundenen Globalisierung.29  Wie seine Hütte, das (untaugliche) Werkzeug für den Versuch, sich zu verbergen, wurde Ted Kaczynski letzlich als das böse "Andere" ausgefiltert und weggeschlossen.

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27 Siehe Jeremy Rifkin, in: STUTTGARTER ZEITUNG, 30.April 2005:"Langfristig wird die Arbeit verschwinden". zurück
28 Vgl.auch Robert Misik: Lob der Guerilla-Mentalität, in: TAZ, Kultur, 15.März 2005. zurück
29 Die Sympathie mit Kaczynski bringt etwa Kevin Kelly zum Ausdruck: "Dieser Typ ist ein Freak, einer von uns. Das [Manifest] ist aufgebaut wie eine Doktorarbeit oder wie eine computerwissenschaftliche Studie, mit numerierten Graphiken und allem. Sehr sauber. Wie seine Bomben." In: THE WELL, 21.September 1995. zit.n.: Mark Dery: Wild Nature, in: MEMSIS. Die Zukunft der Evolution. Katalog zur Ars Electronica 96, Linz 1996. zurück