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Vortrags-Abstract

last modified 2005-12-01 00:52

New Orality oder: Stimmen aus dem (N)irgendwo

Erwin Fiala

Ausgehend von der thematischen Frage der diesjährigen NCC05-Veranstaltung (Grenzen und Entgrenzungen kultureller Implikationen des Netzes), wird die Frage nach der Möglichkeit (Wahrscheinlichkeit) einer sog. „neuen Oralität“ auf der Basis der neuen Kommunikationstechnologien gestellt. D. h. zeigen diese (derzeit) und in Ableitung aus einer „allgemeinen Medientheorie“ überhaupt eine funktionale und technische Disposition, dass sich neue Formen einer oralen Kommunikationsstruktur entwickeln können und wie könnten diese aussehen?

Würde eine tele-kommunikative Oralität eigentlich eine Wiederholung der Spezifika historischer Oralkulturen bedeuten oder würden sich nicht signifikante Unterschiede durch die pragmatische Neugestaltung der kommunikativen „Räume“ (eigentlich Nicht-Räume) und „Territorien“ (eigentlich deterritorialisierte Territorien) durch die Medientechnologien ergeben, so dass sich die These ergibt, dass

  • – eine „Neue Oralität“ gerade die Auflösung all jener Merkmale bedeutet, die historische oralsprachliche Kulturen kennzeichnete, so dass eine auf moderne Tele-Technologien gestützte Oralität völlig andere kulturelle Implikationen mit sich bringt. (Dies zeigt sich etwa am Beispiel des narrativen Diskurses, d. h. an der Rolle und Funktion sowie der strukturellen Tektonik von „Erzählungen“.)
  • – sich eine „neue Oralität“ vor allem auch gegen die Merkmale der sog. Schriftkultur wendet (ohne deshalb gleich das Ende der Gutenberg-Galaxis zu sein), es aber Zeichen eines „Einbrechens“ oralsprachlicher Aspekte in den Kanon der Schriftsprache gibt (z. B. in Form der Mail-Diktion oder in Form des SMS).

Den Überlegungen liegen folgende allgemeine Grundthesen zu Grunde:

  1. Neue Kommunikationsmedien eröffnen zuallererst neue „Pragmatiken“, pragmatische Schemata, d. h. Interaktionsformen der Kommunikation, die schließlich auf die soziale, kulturelle, psychische, kognitive, syntaktische und semantische Struktur Rückwirkungen haben.
  2. Aus einer allgemeinen Medientheorie lassen sich folgende (idealtypische) Prinzipien der Medienentwicklung ableiten:
    • a) Quantitatives Optimum: Immer bzw. alles (muss kommuniziert werden)
    • b) Räumliches Optimum: Immer weiter (Tele-Transfer) bzw. überall (Ubiquität – Allüberallheit)
    • c) Geschwindigkeitsoptimum: immer schneller (Ideal der Lichtgeschwindigkeit und Echtzeit-Tele-Präsenz)
    • d) Zeit-Optimum: Ewigkeit bzw. immerwährendes „Jetzt“ (keine Vergangenheit, aber auch keine Zukunft, weil alles immer schon überall ist)

Diese idealtypische Disposition medialer Technologien lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Alles ist immer, jetzt und überall.“ (Medien sind eben wie Gott.)

Analysiert man die Möglichkeiten oraler Kommunikation entlang dieser dispositionalen Strukturen, zeigen sich durchweg völlig paradoxe Ergebnisse.

Z. B.: Die medientechnische Möglichkeit zur oralen Kommunikation produziert z. B. bereits quantitativ immer mehr „Stimmenrauschen“, so dass informationstheoretisch eine Zunahme des (oralen) Rauschens (Redundanz) bei proportionaler Abnahme von signifikanter „Information“ abzuleiten ist.

Oder: Die Möglichkeit, dass „alle“ am „narrativen Diskurs“ teilnehmen können und sich dadurch die Narrationen ständig verändern, fragmentiert jede einheitliche und für alle (viele) verbindliche „Erzählung“ – die Form der „Erzählung“ verliert damit aber ihre primäre Funktion der Schaffung eines geschichtlichen und identitätsstiftenden „Wissens“ – hier stellt sich zwar nicht die Frage, ob dies „gut“ oder „schlecht“ ist, sondern vielmehr, wie Kommunikation funktioniert, wenn man nicht weiß, wer zu wem spricht, weil jedes Ich nur ein flüchtiges, nomadisches, ungreifbares, identitätsloses und damit auch verantwortungsloses Ich bzw. Nicht-Ich ist? Aber vielleicht betreiben wir Kommunikation in Wahrheit ja bereits nach diesem Muster und wichtig ist nur unsere Stimme als Teil eines Rauschens, das man Kommunikation nennt.